Der geheimnisvolle „Raupenpilz“ gehört vermutlich zu den wunderlichsten Geschöpfen der Natur. Und das liegt nicht vordergründig an seinem merkwürdigen Äußeren. Im Herbst befällt der Pilz auf den bemoosten Hängen des Himalaya die Geistermotte Thitarodes, die sich einige Zentimeter tief im Erdreich befindet. Mycel-Fäden bemächtigen sich nach und nach des Tieres, töten und mumifizieren es schlussendlich. Was sich nicht sonderlich appetitlich anhört, vollzieht in den Wintermonaten eine Metamorphose zum zellorganischen Mischwesen zwischen Pilz und Tier, dessen gesundheitliche Effekte dermaßen sagenumwoben sind, dass für in der Natur geerntete Ware erstklassiger Qualität bis zu fünfstellige (Dollar-)Preise bezahlt werden. Aber der Reihe nach … Im Frühjahr nun, etwa ab April, durchbricht der Pilz vom Kopf des nun unbelebten Insektes her das Erdreich und bildet einen relativ dunklen, im Idealfall goldfarbenen Fruchtkörper aus, der in etwa Keulen-förmig aussieht, gelegentlich aber nur wenige Zentimeter groß ist.
Nun beginnt die Ernte des nur in dem hochalpinen Bereich zwischen 3.500 und 5.000 Meter gedeihenden Pilzes, und diese ist so beschwerlich wie einträglich. Beschwerlich insofern, da es nicht eben einfach ist, den Boden der Hänge nach den kleinen, aus der Erde ragenden Schlauchpilzen abzusuchen. Es lohnt sich dennoch in bemerkenswerter Weise, denn für ein Kilogramm hochwertiger Cordyceps-Ausbeute gelten teilweise Marktpreise von 20.000 Dollar und mehr. Ein Umstand, der Begehrlichkeiten weckt und die Regierung von Tibet schon veranlasst sah, die Erntegebiete genauestens zu kontrollieren. Der in Nepal als „Yarchagumba“ und in Tibet als „Yartsa Gunbu“ (“Sommergras – Winterwurm”) bezeichnete Cordyceps galt denn auch zu Kaiserszeiten als den Höchstrangigen des Landes vorbehalten. Heute gilt der Pilz, in aufwändig dekorierten Behältnissen verpackt, als durchaus traditionelles Hochzeitsgeschenk, wird anderswo in Asien, ähnlich wie weiße Trüffel in Europa, als kostbare Speisenbeilage serviert.
Die naturheilkundlichen Wirkungen wurden vermutlich erstmalig im 15.ten Jahrhundert erwähnt. Aus der damaligen Zeit sind Anwendungen dokumentiert, die sich auf die Anregung der Nierenfunktion und der Lebenskraft bezogen. Der Pilz, der ja tierische und Pilz-Anteile in sich vereint, soll laut TCM die Balance zwischen Yin und Yang wiederherstellen.
Seit den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts besinnt man sich wieder verstärkt der alten Erfahrungen und nährt sie mit neuesten Erkenntnissen. Heute gilt der Cordyceps sinensis (lat.: Ophiocordyceps sinensis) als kräftiges Tonikum für Körper wie Geist. Er stärkt und reguliert Niere wie Nebenniere und verbessert durch seinen Bezug zur Lunge auch die Sauerstoffverwertung. Vermutlich über seinen Bezug zur Nebenniere mit ihren hormonellen Funktionen soll der Raupenpilz auch auf depressive Stimmungslagen positiven Einfluss haben.
Eine gewisse Bekanntheit erfuhr der Pilz, als in den 90ern des letzten Jahrhunderts chinesische Sportler auffällig gute Leistungen bei internationalen top-Wettbewerben erzielten. Als es zur Frage kam, wie diese Leistungen erreicht werden konnten, erklärten die Trainer, dass ihre Athleten Cordyceps-Extrakte einnehmen würden. Damit wurde die Legende erneut genährt.
Auf jeden Fall scheint es bis heute nicht gelungen, den Cordyceps auf natürlichem Weg zu züchten. Die Problematik hierbei ist offenbar nicht der Pilz selbst, sondern die hierzu benötigten Raupen, die sich regelmäßig kannibalisieren. So bleibt für den weltweit immens großen Bedarf und vor dem Anspruch volksnaher Preise nur die Zucht in sterilen Bio-Reaktoren. Der Wirkung tut dies, wie diverse Untersuchungen bestätigen, tatsächlich offenbar keinen Abbruch.